„Viele Innovationen sind nicht nachhaltig“ oder: „Das ideale Auto? Ein Wohnzimmer auf Rädern“

Professor Michael Braungart, wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts, über Recycling, die Notwendigkeit eines ökologischen Umdenkens in der Industrie – und seine Vision eines idealen Autos.

Herr Braungart, Sie waren ab 1982 maßgeblich daran beteiligt, den Bereich Chemie bei Greenpeace aufzubauen. Was hat Sie damals auf Cradle to Cradle gebracht?

Michael Braungart: Es gab nicht erst in den 80-Jahren eine Reihe von Umweltkatastrophen wie das Großfeuer in dem Schweizer Chemieunternehmen Sandoz, bei dem das Löschwasser mindestens 20 Tonnen Gift in den Rhein schwemmte. Die toten Fische in dem rot gefärbten Fluss zeigten direkt vor unserer Haustür, dass unsere Form von Wirtschaften nicht nachhaltig ist. Das Designkonzept „Cradle to Cradle“, also „von der Wiege zur Wiege“, beruht auf der Idee, verwendete Rohstoffe immer wieder in der gleichen Güte neu einzusetzen.

Was würden Sie heute als die größten Erfolge Ihrer Arbeit beschreiben?


Michael Braungart: Dank der Umweltdiskussion hat man in den letzten Jahrzehnten viel verändert. Auch in der Autoindustrie setzt ein Umdenken ein. Aber Ökoeffizienzdenken alleine liefert uns keine Lösungen für Rohstoffknappheit und Müllproblematik. Man muss bei jedem verwendeten Material genau hinschauen und die Gesamtbilanz im Auge behalten. Viele Autohersteller verwenden etwa 200 verschiedene Plastiksorten in ihren Fahrzeugen. Die landen im Schredder oder werden verbrannt. Dieses Downcycling von hochwertigen Produkten müssen wir verhindern.

Die Autoindustrie argumentiert häufig mit Innovation bei Leichtbau und Sicherheit, um den Einsatz von neuen Materialien zu begründen …

Michael Braungart: Viele Innovationen sind nicht nachhaltig. Nehmen Sie nur das Beispiel der hochgerühmten Karbonfasern. Für dieses extrem teure Leichtbaumaterial gibt es noch überhaupt kein erprobtes Konzept zum Wiedereinsatz der Fasern. Das ist, als ob ein Flugzeug startet, für das es keine Landebahn gibt. Oder zum Beispiel Stahl: Ein modernes Fahrzeug besteht aus mehr als 40 verschiedenen Stahlsorten. Die werden zwar beim Recycling zum größten Teil wieder eingeschmolzen, aber die ganzen Edelmetalle gehen dabei verloren. Außerdem ist der Kupferanteil bei der erzeugten Stahlschmelze zu hoch, deshalb muss ständig frischer Stahl in den Kreislauf zugeführt werden.

Related Posts